Andrea Knobloch ist Künstlerin, Herausgeberin von "Infection
Manifesto- Magazin für Kunst und Öffentlichkeit" und Mitbegründerin
von stadtraum.org
"Stadtverkunstung, Fallbeispiel Düsseldorf"
Kunst als städtisches "Corporate Design"
Zuschreibungen an Kunst in öffentlichen Räumen, wie sie städtische Verwaltung,
Politik und Wirtschaft formulieren, artikulieren sich in verschiedenen Tonarten,
je nach Lage des beplanten Gebiets in der dreigeteilten Stadt.
In der dritten Stadt, die erst dann für intensivere Bemühungen um kulturellen
Input interessant werden könnte, sollte sie - nach entsprechender Vorinvestition
der kommunalen Verwaltung - in das Blickfeld potenter Investoren geraten,
findet Kunst auf einer offiziellen Ebene allenfalls aufgrund vermuteter
oder erwiesener Problem-lösender Potentiale statt. Arbeitsfelder für partizipativ
angelegte künstlerische Projekte sind die Befriedung sozialer Brennpunkte,
die "Verschönerung" misslungener Planung und die Aufwertung freigesetzter
Immobilien durch kulturelle Zwischennutzungen.
Die zweite Stadt, Wohn- und Aktionsraum einer sozial integrierten Mittelschicht,
erwartet von öffentlicher künstlerischer Betätigung in der Regel, dass sie
bürgerlichen Ansprüchen an ihre ästhetische Erscheinung entspricht und keinesfalls
aus Steuermitteln finanziert wird. Auch hier dient Kunst der Aufwertung
städtischer Räume. Sie steht für eine befriedete Idylle und gibt dem städtischen
Gedächtnis eine räumliche Struktur.
In der ersten Stadt (global, wettbewerbsfähig, funktional und ästhetisch
an internationalen Standarts orientiert) generiert Investoren-gesteuerte
Stadtentwicklung bereinigte Räume. Die Möglichkeit der unvermuteten Begegnung
wird aus Sicherheitsgründen ausgeschlossen. Stereotype Architekturen reflektieren
die begrenzten Vorstellungen zukünftiger Verwerter und berücksichtigen nur
selten Wünsche und Ansprüche der zukünftigen Nutzer/innen. Konzepte, die
innerstädtische Räume mit synthetischem urbanen Flair aufladen wollen, zielen
auf touristische Attraktivität durch spektakuläre Kultur-Events und die
Instrumentalisierung so genannter kultureller Szenen im Rahmen eines Identität
generierenden Stadtmarketings. Die Stadt wird als einmaliges Erlebnis formuliert,
die alltägliche Erfahrung der hier lebenden Menschen gerät dabei aus dem
Blickfeld. Das städtische "Corporate Design" bezieht sich ausschließlich
auf die medial überregional bzw. öffentlich im Sinne der touristischen Vermarktung
sichtbare erste Stadt.
Achtung: Kunst!
Die Grenzen eines Blicks auf öffentliche Kunst sind ihm, dem Blick immanent:
das Kriterium der Sichtbarkeit ist das große Dilemma öffentlich und ganz
besonders auch privat initiierter Kunst im Stadtbild: Alles, was nicht bildfähig
im Sinne einer auch medialen Verwertbarkeit ist, findet entweder gar nicht
erst statt oder hinterlässt keine Spuren im kollektiven Gedächtnis - was
im Grunde dasselbe ist. "Die Überlieferungsform des Bilderbuchs ist Begleiterscheinung
eines Kunstsystems, das in seinem Kern über Handelsware funktioniert. Alle
großen Institutionen dieses Systems brauchen Kunst, die über Einzelobjekte
vermittelbar ist: die Museen, die Kunsthallen, die Auktionshäuser, die Galerien,
die begleitenden Magazine, usw. Sobald Künstler/innen etwas anderes produzieren
als transportable und abbildbare Objekte oder Installationen, fallen sie
aus der kunstgeschichtlichen Überlieferung und Kanonisierung heraus. Ihre
Sichtbarkeit und Breitenwirksamkeit ist beschränkt." (1) Künstlerische Handlungsformen,
wie sie im Verlauf der neunziger Jahre als Reaktion auf den Zusammenbruch
des Kunstmarkts und als Entgegensetzung zu einer allzu kommerziellen und
damit hochgradig korrumpierbaren Kunstproduktion von Künstlerinnen und Künstlern
entwickelt wurden - seien es konzeptuelle, prozessuale, projektorientierte,
interventionistische oder partizipatorische - lassen sich nur unter großen
Schwierigkeiten und mit meist unbefriedigendem Ergebnis in übliche Präsentationsformate
zwingen. Kunstproduktion, die Bilder und Objekte herstellt, wird als öffentliche
Kunst allein schon deswegen bevorzugt, weil man sich bei der feierlichen
Eröffnung davor fotografieren lassen kann.
Wir bewegen uns im folgenden also in einem von vornherein recht begrenzten
Spektrum der öffentlich Kunstäußerungen, deren erstes Kriterium ihre Sichtbarkeit
und damit Verwertbarkeit im Rahmen des städtischen Corporate Design sein
muss. Mit dem Argument der Imagepflege lassen sich auch in fiskalpolitischen
Zwangslagen Kunstprojekte aus Steuermitteln finanzieren, die sich unter
dem Oberbegriff kosmetischer Eingriff im Gesicht der Stadt subsumieren ließen.
In den mehr oder weniger exklusiven Zirkeln, die in geheimer Sitzung über
Realisierungen entscheiden, sind diese Initiativen immer noch am besten
auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen. Risiken, und sei es nur
das Risiko des möglicherweise Übersehen-Werdens, geht man hier nicht ein:
Investitionen in Kultur müssen sich lohnen und das tun sie auf der Präsentationsoberfläche,
sei dies nun ein städtisches oder ein Corporate Design.
Urban-Management
Welche Vorstellungen von Stadtkultur, von Urbanität werden bei der Gestaltung
der ersten Stadt politisch zugrunde gelegt? Die unternehmerische Stadt mit
ausgelagerten Profit-Centern nutzt "urbane Kultur" als Produktivfaktor und
wichtige Kapitalanlage. Bürgerinnen und Bürger werden einmal mehr als Konsument/innen
angesprochen. Die Versorgung mit einer erlebnisorientierten Event-Kultur
wird unter den gleichen kaufmännischen Prämissen sichergestellt, wie z.
B. die Entsorgung des Hausmülls. Die Teil-Privatisierung der städtischen
Organisationsstrukturen, sowie die sukzessive Umwandlung des inneren Stadtzentrums
in einen gehobenen Konsumptionsraum führt letztendlich zu einem entöffentlichten
Stadtraum: die Shopping Mall als Paradigma einer idealen Stadt beruht in
ihrer Funktion auf dem Prinzip der Ausgrenzung all derjenigen Stadtbewohner
und -bewohnerinnen, die aus wirtschaftlichen Gründen keinen Anteil nehmen
können.
Die Implementierung einer wie auch immer gearteten Botschaft oder Mitteilung
in diese städtische Öffentlichkeit ist an das Mieten der dafür benötigten
Fläche, des Raums, der Sendezeit gebunden. In der Stadt als privatisiertem
Themenpark ist "Öffentlichkeit" eine simulierte und Sichtbarkeit sowie die
Kontrolle über mögliche Deutungen des Sichtbaren wird hegemonial verwaltet.
Alles, was eventuell als Störung der Erlebnisqualität eines konsumfreundlichen
Stadtklimas ausgemacht werden kann, wird aus dem Blickfeld entfernt. Alles,
das kann heißen eine unliebsame Architektur, ein unliebsames Kunstwerk oder
der/ die Obdachlose im Bahnhof oder auf der Kö. Bereinigt von dem Potential
an unvermuteten Begegnungen, visueller Vielfalt und der Spannung, die im
Aufeinandertreffen unterschiedlicher Positionen und Meinungen liegt, bewegen
wir uns in einer Art Stadtraumsimulation, die öffentliches Leben auf einen
Aspekt reduziert: demonstrativen Konsum.
Das Arsenal der zugelassenen Motive in diesen künstlichen Paradiesen wird
zu gleichen Teilen beliefert aus dem Cyber Space, der globalisierten Kulturindustrie
und der Romantik oberitalienischer Stadtzentren. Urbanität als einstmals
auch soziale Utopie der Chancengleichheit und als Gegenentwurf zu einer
feudalistisch organisierten Gesellschaft der vererbbaren Privilegien kommt
in diesem europäisch-historisierenden Modell nicht mehr vor.
Öffentliche Kunst?
Bleibt festzuhalten, dass ein öffentlicher Raum für dann öffentliche Kunst
eigentlich gar nicht vorhanden ist, sondern mit einer solchen Kunst erst
hergestellt werden müsste. Der ihr zugewiesene Raum erweist sich als hochgradig
besetzt von Interessen, die nur eventuell als deckungsgleich mit denen von
Künstlerinnen und Künstlern angenommen werden dürfen. Der Durchmarsch künstlerischer
Vorhaben durch die Sachzwang-gesteuerte Maschinerie der Verwaltungsinstanzen,
also das Abklopfen auf Realisierbarkeit (will sagen: Pragmatik), Verträglichkeit
(will sagen: Popularität) und dem möglichen Nutzen (will sagen Verwertung)
verlangt den Autor/innen ein Höchstmaß an Kompromissbereitschaft und gutem
Willen ab. Vorhaben, die diesen Prozess erfolgreich aber nicht unbedingt
unbeschadet durchlaufen konnten, sollten möglichst wartungsfrei und ohne
Verfallsdatum daherkommen, um am zugewiesenen Aufstellungsort ungerührt
die Jahrhunderte zu überdauern.
Nützlichkeitserwägungen - Nutzungsaspekte
Motive für die Inszenierung von Kunst im städtischen öffentlichen Raum lassen
sich nach zugrunde liegenden Interessen und Nutzungsansprüchen der Initiatoren/
Initiatorinnen listen. Selten spielt ausschließlich ein Aspekt eine Rolle,
meistens handelt es sich um eine Kombination mehrerer:
1. Identität schaffen/ Repräsentation
2. Potenzformulierungen der Auftraggeber/ Künstler
3. Marketing Tool
4. Information/ Denkmal
5. Revision/ Verschönerung
6. Dekoration/ Konsens schaffen
7. Profitmaximierung
8. Mediation
Zwei Aspekte scheinen mir bemerkenswert. Zum einen lässt sich beobachten,
dass der Rückzug öffentlicher Förderung und der darauf folgende Auftritt
privatwirtschaftlicher Geldgeber die Leistungsbilanz in den Umgang mit Kunst
eingeführt hat. Das Bedienen von Interessen als solches ist hier nicht eigentlich
ein Problem, erst wenn die positive Erfolgsprognose zur Voraussetzung einer
Realisierung wird und die Möglichkeit der Evaluierung von Vorleistungen
durch einen späteren Gewinneintrag über die Initiative für oder gegen Kunst
entscheidet, erscheint die Lage bedenklich.
Die veränderte Atmosphärik in der Finanzierung von Kunst wirkt wiederum
zurück auf Politik und Verwaltung. Das Schielen auf mögliche Seitengewinne
(Tourismus/ Marketing/ Problemzonen-Kosmetik) sollte bei der Entscheidung
über die Realisierung von Projekten nicht zum ausschlaggebenden Faktor werden.
Wie überhaupt eine Argumentationslinie, die letzte Gründe für die Förderung
von Kunst und Kultur im ökonomischen oder sonstigem Nutzen sucht, irgendwann
in der Diskussion um Kindergarten versus Opernhaus endet. Der zweite Punkt,
der hier direkt anschließt, ist der Irrtum, Kunst im öffentlichen Raum könne
sozial- bzw. ordnungspolitisch angezeigte Maßnahmen ersetzen oder aber eine
verfehlte Stadtplanung/ Architektur durch künstlerische "Verschönerung"
in eine gelungene Situation (auch unter Berücksichtigung sozialer Aspekte)
transformieren.
Wes Brot ich ess'…
Die Zurückweisung des In-den-Dienst-Nehmens künstlerischen Handelns für
zunächst im Außen des Kunstfelds anzusiedelnde Interessen, seien es wirtschaftliche,
soziale oder eben politische, kann aber auch in eine Sackgasse führen. Wer
glaubt, den öffentlichen Raum als Ort für Kunst nutzen zu können, ohne dabei
die hier vorliegenden Bedingungen zu berücksichtigen, ignoriert die besondere
Verantwortung, die eine solche Besetzung öffentlicher Flächen mit sich bringt.
Geht es ausschließlich um die Demonstration handwerklicher oder sonst wie
gearteter originärer künstlerischer Qualifikationen, scheint dies allein
schon deswegen verfehlt, weil sie Vereinnahmungsversuchen aller Art wenig
entgegenzusetzen haben und dadurch erst recht für alle möglichen Interessen
und Ansprüche verfügbar werden. Die Wiedereinführung des schon überwunden
geglaubten Konzepts des autonomen kontextunabhängigen Werks, ist also eigentlich
die spannungsloseste Setzung im öffentlichen Raum.
Aber auch eine entgegen gesetzte künstlerische Praxis, die mit Begriffen
wie Ortsspezifik, Dienstleistung, Partizipation/ Intervention operiert,
liefert sich möglicherweise an vorhandene Verhältnisse aus, ohne wirklich
etwas bewegen oder verändern zu können. Das hier gern geübte "Ausbügeln
der Grauzonen, die der verschlankte Sozialstaat hinterlässt" (C. Höller)
durch künstlerische Projekte, führt dazu, dass Kunst als Mittel der scheinbaren
Bereinigung, nicht der Aufdeckung sozioökonomischer Konfliktfelder und somit
letztendlich als systemstärkend funktionalisiert wird. Community Art im
Sinne von Selbsthilfe/ Quartiersmanagement unter künstlerischer Leitung
kann möglicherweise vor Ort Spannungen abbauen und besänftigend wirken,
wird aber kaum eine substantielle und langfristige Veränderung der Verhältnisse
herbeiführen. Im Gegenteil: Durch eine solche Praxis werden sogenannte Randgruppen
oder Problemzonen einmal mehr adressierbar und politisch instrumentalisierbar
für die Fortsetzung einer rigiden Sicherheits- und Ordnungspolitik im öffentlichen
Stadtraum.
Was tun?
Warum also überhaupt noch Kunst im öffentlichen Raum? Sollten wir diese
Idee nicht als gescheiterten Versuch zu den Akten legen und uns in den geschützten
Ausstellungscontainer zurückziehen?
Die Antwort ist ein entschiedenes NEIN! Der öffentliche Raum sollte als
Aktionsraum für Kunst nicht aufgegeben werden. Wir sollten nicht darauf
verzichten, gegen die fortschreitende flächendeckende Kommerzialisierung
von Öffentlichkeit zu protestieren und Ansprüche auf Sichtbarkeit von Kunst
in öffentlichen Zusammenhängen offensiv vertreten. Vielleicht wäre zu erforschen,
ob durch das Handeln in konkreten Zusammenhängen des Öffentlichen ein Raum
für künstlerische Praxis aufgemacht werden kann, die den im Stadtraum virulenten
Auseinandersetzungen und Konflikten modellhaft Gegenentwürfe an die Seite
stellt und damit eine neue Ebene der Verhandelbarkeit von einander gegenüberstehenden
Interessen und Ansprüchen einzieht.
Bei den Auseinandersetzungen um das Recht auf die öffentlichen Räume einer
Stadt geht es nicht nur um konfligierende Raumnutzungen, es geht auch um
das Recht auf Kontrolle von Bildern und Bedeutungen. Gestaltung des Stadtraums,
der städtischen Öffentlichkeit, wie sie durch Politik und Verwaltung formuliert
wird, reagiert auf den Wandel des öffentlichen Raums in ein kommerzielles
Bilderbuch mit Bereinigungstendenzen. Sie entscheidet über Sichtbarkeit
und Unsichtbarkeit nach den Kriterien des ökonomischen Nutzens und ästhetischer
Kompatibilität. "Ästhetische Ausstattungsprogramme der Innenstädte und Imagetransfer-Skulpturen,
sowie temporäre Ausstellungsprojekte, die der im Städtewettkampf kulturpolitisch
geforderten Ereigniskultur geschuldet sind, stecken den Rahmen ab, in dem
Kunst im öffentlichen Raum sich heute ereignet…" (2).
Es ist an uns, den Künstlerinnen und Künstlern, diesen Rahmen zu demontieren
und die Frage nach Öffentlichkeit und einer Kunst des Öffentlichen neu zu
stellen. Wenn wir die gesetzten Grenzen nicht überschreiten und nach den
Räumen dazwischen suchen, werden wir uns weiterhin als Dekorateur/innen
verfehlter Planungen und kostengünstige Sozialarbeiter/innen instrumentalisieren
lassen müssen.
Anmerkungen
1.) Stella Rollig, "Zwischen Agitation und Animation. Aktivismus und
Partizipation in der Kunst des 20. Jahrhunderts", in "Dürfen die
das? Kunst im sozialen Raum", Stella Rollig, Eva Sturm (Hrsg.)
2.) Achim Könneke "Aussendienst", in: Aussendienst, Kunstprojekte im öffentlichen
Räumen Hamburgs, Achim Könneke, Stephan Schmidt-Wulffen Hrsg. Im Auftrag
der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg, Hamburg 2002
Alle Abbildungen aus dem "infection manifesto" Archiv für Kunst und Öffentlichkeit
Andrea Knobloch